Dagmar Cettl
Diplomarbeit
Fachhochschule Niederrein
Krefeld, Sommersemester 1996


Das Motiv der "Bewegung" in der Plastik in Umsetzung zu praktischen Anwendungen


Referent: Prof. Dieter Crumbiegel
Koreferent: Prof. Dr. Rolf Sachsse

"Es ist offenbar ein Gesetz der Kultur, daß sie immer nur auf Umwegen fortschreitet, weil jede neue Idee zu etwas anderem wird, als sie ursprünglich war. Niemand kann Ideen übernehmen, ohne sie eben dadurch zu verändern, daß er von ihnen Kenntnis nimmt, ohne seine eigene und jeweils andere Seinsweise hineinzulegen."
Maurice Merleau-Ponty

Die Dinge, die mich beschäftigen, lassen sich durch Denken allein nicht lösen. Ich brauche sinnlich Wahrnehmbares, um Probleme lösen zu können, und ich baue meine Gedankenhilfsmodelle selbst. Die praktische Arbeit zieht ihre Motivation also aus etwas, das sie am Ende nicht beinhaltet.

Das Lösen eines Problems ist nicht das Finden einer konkreten Antwort, weder sprachlich, noch mit anderen Mitteln, es ist das Entdecken und Verstehen von komplexen, vielschichtigen Zusammenhängen.

Das Verhältnis zwischen den Gedanken und den Arbeiten ist eigenartig. Sie bedingen einander, das ist normal, aber sie dienen auch dazu, einander die Bedeutung als alleiniges Ausdrucksmittel zu nehmen. Sie schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu, damit ich die Möglichkeit habe, auf beiden Gebieten Dilettant zu sein.

Ein Anliegen, das an verschiedener Stelle genannt wird, wenn über die Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts gesprochen wird, ist die Verbindung von Kunst und Leben. Die genannten Beispiele, um das zu erreichen, zielen zum Teil auf eine völlige Durchgestaltung des Lebens, was utopisch ist. Drei andere Möglichkeiten (aus Werner Hofmann, "Gegenstimmen") sind "die Einführung realer Gegenstände, in einen Zusammenhang der eine andere Realitätsstruktur aufweist", die "Poetisierung des Zivilisationsalltags", und "die Wahrnehmung, daß ein aus seinem gewohnten Umfeld herausgelöster Gegenstand ... neue Qualitäten annimmt."

Ein weiteres Mittel ist das Einsetzen von realer Bewegung.

Wenn man rückblickend alle diese Versuche beobachtet, nachdem sie ihre provokative Wirkung verloren und ihre utopischen Ziele nicht erreicht haben, bemerkt man Zusammenhänge, die auf verwandten Denkstrukturen beruhen. Das Aufbrechen von Gewohnheitsgesetzen ist nicht mehr Verneinung von Existierendem sondern Sichtbarmachen von anderen Möglichkeiten. Es ist mit dem Bewußtsein von vielen gleichzeitig möglichen Regeln, und vermutlich auch dadurch motiviert, leichter, das Entstehen, Finden oder Wirken von neuen Zusammenhängen zu untersuchen. Das Interessante ist nicht das Ergebnis (in Form eines neuen Schemas), sondern das Grundbedürfnis Ordnungen zu bilden.

Allgemeine Gedanken zu "Bewegung" in der Plastik

Das Kunstwerk kann Träger von Daten sein, die auf einen Bewegungsvorgang verweisen (die Haltung einer figürlichen Plastik, die durch Lebendigkeit den seelischen Zustand beschreibt oder eine dynamische Anordnung formaler Elemente), auch wenn (oder gerade wenn) keine tatsächliche Bewegung stattfindet.

Wenn ein Objekt sich tatsächlich zu bewegen beginnt, wird es aufdringlicher, da unsere Wahrnehmung so konstruiert ist, daß wir bei bewegten Dingen besonders vorsichtig sind.

Weiters hängt es von unserer Sozialisation, von der Geschwindigkeit und Richtung der Bewegung und von der Größe des bewegten Objektes ab, ob uns die Bewegung beruhigend, auflockernd, stressig oder bedrohlich vorkommt.

Die Bewegung eines Objektes oder seiner Teile kann seine Hauptaussage sein, oder sie kann ein kleiner Zusatz sein, um die Aussage zu erweitern.

In der Kunst treten bewegte Objekte am Anfang dieses Jahrhunderts auf, im Zusammenhang mit anderen neuen Kunstformen.

Teilweise kam die Motivation dazu von der zunehmenden Industrialisierung. Einige Künstler begannen ebenfalls Maschinen zu bauen, um die "Ästhetik des Funktionierens" (Buderer) zu zeigen oder um auf die Bedrohung durch Maschinen hinzuweisen. Andere Apparate sollten dazu dienen, dem Künstler die Arbeit des Kunstproduzierens abzunehmen.

Bewegung kann als Mittel eingesetzt werden, um natürliche und mechanische Bewegungsabläufe mimetisch nachzuahmen, wobei die Darstellung der Bewegung und die des Objektes auf unterschiedliche Art in Beziehung gesetzt werden.

Die Form kann durch ihre mechanische Konstruktion die Bewegung nahelegen, die tatsächlich stattfinden könnte, oder aber eine ganz andere.

Wenn die Form der Plastik nichts mit dem zu tun hat, an das die Bewegung erinnert, werden die Assoziationen zur Form und die Assoziationen zur Bewegung zu einer neuen Aussage verbunden.

Die Form und die Art der Bewegung können gemeinsam auf abstrahierte Weise, statt zu reproduzieren, ein Verhalten darstellen.

Beim Einsatz von mimetischer Abbildung von real Gegebenem wird im Vergleich zu automatischen Puppen, deren Zweck vermutlich war zu verblüffen oder technisches Können zu demonstrieren, immer eine oder mehrere Dimensionen verändert, weggelassen oder ersetzt. Der dadurch erzielte Ausdruck kann ironisch, erzählend oder sinnbildhaft sein oder das Verhalten allgemein betonen.

Wenn die Bewegung nicht an Gegebenes erinnert, kann sie wie Form und Farbe als reines bildnerisches Mittel eingesetzt werden.

Das Einbeziehen der Zeit verändert die Beziehung zwischen Form und Raum (zum Beispiel durch das Schaffen virtueller Volumen).

Der Rhythmus verbindet zeitliche und räumliche Organisation.

 

"Wie die konstitutiven Einheiten des Mythos, dessen Kombinationsmöglichkeiten durch die Tatsache begrenzt sind, daß sie einer Sprache entnommen sind, in der sie schon einen Sinn besitzen, der die Manövrierfreiheit einschränkt, sind auch die Elemente die der Bastler verwendet, bereits von vornherein eingeschränkt.
Andererseits hängt die Entscheidung von der Möglichkeit ab, ein anderes Element in die freigewordene Funktion einzusetzen, die weder der andeutungsweise vorgestellten noch irgendeiner anderen, die ihr hätte vorgzogen werden können, jemals entsprechen wird."
Claude Lévi-Strauss

 

Im Laufe dieser Arbeit hatte ich den Gedanken, verschiedene Arten von Bewegung einander gegenüberzustellen, um die unterschiedlichen Wirkungsmöglichkeiten zu illustrieren. Ich merkte jedoch, daß es einfach nicht ging, irgendeine Entscheidung zu treffen. Bei näherer Beschäftigung erwiesen sich das Thema und die Wechselwirkungen mit anderen Objekteigenschaften als zu komplex.

Außerdem neigte ich dazu, Möglichkeiten von vornherein auszuschließen (zum Beispiel alles, was mit komplizierter Mechanik oder Motoren zu tun hat).

Die Entdeckung des Wassers als Skulpturbestandteil verdrängte diese Anfangsidee. Die Entscheidungen die ich nun treffen mußte lagen im Bereich der realen Dinge, ich hatte also wieder festen Boden unter den Füßen.

Meine Arbeiten sind aus einzelnen Elementen zusammengesetzt, die sich durch ihr Material, ihre Assoziationsfähigkeit und ihre Funktion innerhalb des Ganzen mehr oder weniger voneinander unterscheiden.

 

Im Vordergrund stand, wie schon in unterschiedlichem Ausmaß bei meinen früheren Arbeiten, das Kombinieren, wobei die Verbindungen noch lockerer wurden. Dadurch wurde die Bewegung, die früher nur eine Eigenschaft des fertigen Objektes war, eher zu einem eigenen Element (sobald ihre Wirkung aus Assioziationen zu Abwesendem besteht).

 

Die Wahl der "Elemente"

Manche waren einfach schon da, ich kannte sie von meiner früheren Arbeit. Sie wurden vor allem da eingesetzt, wo es auch inhaltliche Zusammenhänge mit der früheren Arbeit gibt.

Andere habe ich zufällig getroffen, ausprobiert, und vielleicht irgendwann durch sympathischere ersetzt.

Nach einigen habe ich gesucht, wobei Brauchbarkeit, persönliche Vorlieben und die Möglichkeit, sie zu beschaffen, unterschiedlich die Entscheidung beeinflußt haben.

An der Art der Funktion, die sie innerhalb des Ganzen erfüllen, kann man teilweise noch erkennen, weshalb ich sie gewählt habe.

 

 

Die Wasserbecken

Sie bilden die äußere Grenze der Objekte. Die Form ist eindeutig identifizierbar (benennbar), um unnötige Spekulationen über gestalterische Intentionen auszuschließen.

Die erforderliche Wasserdichtheit konfrontierte mich mit neuen Materialien oder Materialkombinationen, also auch mit anderen Materialwirkungen und Assoziationsfähigkeiten.

Die Paraffinbecken haben durch die Transparenz einen eher diffusen (schattenlosen) Innenraum, und sie haben den Vorteil, daß sie selbst schwimmen.

Die Kombination Holz mit Kunststoffabdichtung hat durch die zusammengesetzte Bauweise schon soviele Eigenschaften, daß ich nur noch Ähnliches damit kombinieren konnte, ohne das Becken zu überfordern.

Die Assoziationen bewegen sich je nach Inhalt zwischen Bilderrahmen, Gefäß und kleinem Schwimmbecken.

In der Kunststofftonne findet die Bewegung vor allem in der Tiefe statt, durch die Transparenz des Materials kann man die Entfernungen nicht genau einschätzen, was die illusionistische Räumlichkeit verstärkt. Der Inhalt wird nicht dargeboten, er ist versteckt und nur von oben sichtbar.

 

Das Wasser

ist das verbindende Element. Es schafft eine dichte, labile, durchsichtige Verbindung zwischen den bewegten Elementen, und durch seinen Aggregatzustand eine Verbindung zur dritten Erscheinungsform, der Luft, die unbemerkt die gleiche Verbindung oberhalb der Wasserfläche schafft.

Durch Spiegelungen an der Oberfläche wird der Umraum einbezogen.

Andere Füllungen mit anderer Zähigkeit und Farbe bringen eine stärkere Abgrenzung zum Umraum und andere sinnliche Assoziationen.

 

Die Schwimmer

müssen, je nachdem, ob sie noch Gewicht tragen müssen, ein bißchen bis viel leichter als Wasser und wasserunlöslich sein. Ihr Schwimmverhalten richtet sich nach der Form.

Die am Strand gefundenen Palmfaserbällchen, die mit Paraffin abgedichtet wurden, die Paraffinschaumschwimmer und die Kunststoffschwimmer, deren Form sich, unter Rücksichtnahme auf die Herstellungsweise, an den Palmfaserbällchen orientiert, sind sehr träge.

Die Ping-Pong Bälle werden durch die Verbindung mit Aluminiumdraht und Bleigewichten zum Zentrum einer vertikalen Schaukelbewegung und dienen sehr zurückhaltend als Träger anderer Elemente. Sie können sehr leicht vom Wind bewegt werden und bewegen sich dann unabhängiger von den Bewegungen der Wasseroberfläche. Das gleiche gilt für die Styroporkugeln, die mir jedoch eher unsympathisch sind. Wenn sie nicht so unauffällig und praktisch wären, würde ich sie hinauswerfen.

Die Paraffinplatten sind gleichzeitig Schwimmer und Bildträger, das "Bild" ist stärker mit dem Grund verbunden.

Alle Schwimmer haben die Eigenschaft, sich durch die Oberflächenspannung des Wassers in Gruppen zusammenzufinden oder an der Wand zu kleben, was natürlich Einfluß auf die Selbstgestaltung hat. Um ein Arrangement aus seinem Ruhezustand zu lösen, muß mehr Energie aufgewendet werden, als für die weitere Bewegung.

 

Die Linienstruktur

macht die erkennbare Räumlichkeit diffuser. Wenn sie sich unter der Wasseroberfläche befindet, wird sie durch die Lichtbrechung entsprechend der Wasseroberflächenbewegung optisch bewegt.

 

Die perspektivischen Bilder

schaffen eine illusionistische Räumlichkeit, die die tatsächlich vorhandene überlagert. Sie reduzieren die Bewegung auf ein Hilfsmittel zur Herstellung zufälliger Konstellationen. Außerdem verweisen sie auf eine Realität, die außerhalb der vorhandenen Aktion stattgefunden hat. Dadurch bringen sie, zu dem realen Zeitablauf der stattfindenden Bewegung, den Hinweis auf einen anderen, außen bleibenden Zeitablauf und die Assoziationen zu Vergänglichkeit und Bewahren von Erinnerung (was den Gefäßcharakter des Beckens verstärkt). Ich verwende die Bilder als Material, als Gestaltungsmittel mit bestimmten formalen Eigenschaften. Das Verweisen auf etwas anderes ist ein willkommenes Mittel, von dem formal Gegebenen abzulenken. (Das passiert natürlich auch bei der Verwendung von anderen Materialien die Bedeutungen oder Funktionen haben, also bei gefundenen Gegenständen oder bei Arbeiten aus besonders wertvollen oder ekelhaften Materialien.) Dabei hängt es von der Stärke der sinnlichen Wirkung ab, wie sehr die formale Wirkung überdeckt wird.

 

Die Bewegung

macht auf die physikalischen Prozesse aufmerksam, die ihr Zustandekommen ermöglichen.
Sie weckt Assoziationen zu anderen Dingen, die sich auf oder unter dem Wasser bewegen, zu kleinen Schiffen, Spielzeug oder kleinen Tieren, soweit diese nicht durch das durch die Bewegung bewirkte formale Geschehen verhindert werden.

 
Die Objekte

Das blaue Becken


Die ungesteuerte Bewegung der einzelnen Elemente läßt zufällige Anordnungen entstehen. Sobald die Bewegung ganz zum Stillstand gekommen ist, kann man die Anordnung wie eine bewußte Komposition betrachten. Durch die offensichtlich erkennbare Labilität im Wasser ist die Vergänglichkeit sichtbar und die Möglichkeit zur Bewegung latent vorhanden. Während Bewegung stattfindet, neigt man dazu, auf das Entstehen von spezielleren Konstellationen zu warten, die, wenn sie eintreten, nur so kurz vorhanden sind, daß es nicht möglich ist, sie zu beobachten, bis alles wieder in einer zufälligen Anordnung zum Stehen kommt, die einen auch nicht zufriedenstellt, weil man sieht, daß sich etwas ändern könnte. Die Unzufriedenheit entsteht durch eine Kombination von Formen, die offensichtlich Teile von etwas sind, also nach Verbindungen streben, und einer Bewegung, die an die Bewegung von Blättern im Wasser erinnert, also gleichartiger Elemente, deren zufällige Anordnung keine unterschiedlichen Qualitäten aufweist. Die senkrechte Dimension der Bewegung, das pendelartige Wackeln, könnte Assoziationen zu Lebewesen aufkommen lassen, was aber durch die Art der Gestaltung der Flächen verhindert wird.

So ähnelt die Anordnung Musik, die nicht den gewohnten Ordnungen folgt, weil sie Erwartungen entstehen läßt, ohne sie zu erfüllen.

Die Anordnung ist auf einen kleinen Raum begrenzt, eine Kiste, die gleichzeitig Rahmen und Behältnis ist, wodurch die Assoziation zu Bewahren entsteht, die wieder im Gegensatz steht zur Vergänglichkeit der Anordnungen des Inhalts.

"Speziellere" Anordnungen entstehen durch die Illusion von Räumlichkeit auf den Flächen, die, wenn sie durch die Anordnung verstärkt wird, mit der tatsächlichen Räumlichkeit konkurriert, und durch die Ähnlichkeit der Flächen mit der Kiste, die Verbindungen entstehen läßt.

Die Gesamtwirkung kann, je nach Umgebung, Wind und Stimmung des Betrachters, sehr unterschiedlich sein.

Das kleine Paraffinbecken


Man sieht, daß die Abbildungen auf den bewegten Teilen und dem Rahmen des Beckens aus einem Bild entstanden sind und auch wieder zu einem Bild zusammengefügt werden könnten. Durch die Zufälligkeit der Bewegung weiß man aber auch, daß das nie passieren wird und spart sich die Mühe darauf zu warten. Die Konstellationen, die sich ergeben, machen einen nicht so nervös, weil man nachvollziehen kann, woraus sie entstanden sind.

Die einzelnen Bildteile haben nur teilweise die Wirkung einer perspektivischen Räumlichkeit, je nachdem, wieviel von den Fenstern und Simsen zu sehen ist. Die Mauerflächen verbinden sich eher mit dem flachen Beckenrand und den schwimmenden Rechtecken.

Das Becken übernimmt hauptsächlich die Funktion eines Bilderrahmens, der durch die Tatsache, daß er

den Bildrand trägt, das zerstückelte Bildinnere zusammenhält.

Das große Paraffinbecken


Die Anordnung mit den runden Schwimmern ist völlig natürlich: beliebiges Herumschwimmen von gleichartigen amorphen Elementen auf einem diffusen Grund. Der Kontrast zwischen den aus nicht nachvollziehbaren Gründen handgefertigten Elementen und ihrem völlig banalen Verhalten ist reizvoll.

Das Wasser und sein Verhalten wird betont, während man dem Ortswechsel der Schwimmer nur nebenbei, als belebendem Element, Beachtung schenkt.

"Das ist wie Eintopf, da schaut man ja auch nicht, wohin die Erbse schwimmt" (Zitat Gabi Leven, ihr sei diese Arbeit gewidmet).


Die Anordnung mit den Paraffinplatten läßt das Ganze eher wie eine graphische Komposition aussehen. Die unterschiedlich stark aus dem Paraffin heraustretende Linienstruktur der Platten, die so gebogen sind, daß nur die weißen Kanten oberhalb der Wasserfläche sind, verbindet sich mit der diffusen Struktur des Beckenbodens.

Die Installationen in der Tonne


Als Alternative zu den flachen Becken wollte ich eine Anordnung machen, bei der die schwimmenden Elemente von oben nach unten geschichtet sind. Die kleine Öffnung hat die Funktion eines Guckloches, durch das man in eine andere Welt blickt. Die Schwimmer müssen so schwer sein, daß sie zu Schwebern werden. Durch ihre Anordnung in verschiedenen Höhen wird die unklare Tiefe erfaßbarer, was durch die Abbildungen auf den Flächen wieder verhindert werden kann.

Beim Photographieren von bewegten Objekten dieser Art entsteht immer etwas Neues. Die Bewegung läßt sich nur durch Abfolgen andeuten, deren Wirkung aber eine ganz andere ist. Wenn die Veränderungen sehr klein sind, wirkt das Ganze eher wie die Addition gleichartiger Bilder, erst beim zweiten Hinsehen bemerkt man den Ortswechsel einiger Elemente. Bei größeren Unterschieden innerhalb einer Reihe sieht es aus wie eine Komposition aus mehreren ähnlichen Bildern.

Beim Zusammenstellen hat man die Möglichkeit Anordnungen auszusuchen. Das heißt aber nicht, daß die bewußt ausgesuchten Zusammenstellungen weniger zufällig aussehen.

Da die Objekte jeweils aus einem statischen Rahmen und einem bewegten Bildinneren zusammengesetzt sind, bietet es sich an, nur den Bildausschnitt zu photographieren. Der Unterschied zwischen abgebildeter realer Räumlichkeit und abgebildeter fiktiver Räumlichkeit ist dann teilweise nicht mehr klar zu erkennen.

Ich finde es gut, wenn die Objekte und die Bilder von den Objekten gemeinsam wirken, vor allem da, wo ich die Objekte an anderen Orten photographiert habe.

Ich habe nicht soviel Gelegenheit (oder nicht die richtigen Orte) gehabt, die Arbeiten an anderen Plätzen zu photographieren. Die Paraffinbecken sind am schönsten, wenn sie im Wasser schwimmen, da das Wasser im Beckeninneren mit dem großen rundherum-Wasser Verbindung aufnimmt und die Beckenwand dadurch durchlässiger wirkt.

Um unfertige Gedanken auszudrücken, braucht man mehr Sätze, als für fertige. Deswegen sind in diesem Text manche Dinge, die mir sehr wichtig sind, nur kurz erwähnt, während ich mich über andere lange verbreite, ohne zu einem Punkt zu kommen. Das Abwechseln von Gedanken und das Beschreiben von sinnlich Gegebenem folgt keiner bewußten Ordnung. Ich denke, das dem Zufall der Assoziationen zu überlassen, ist die einzige Möglichkeit dem Zusammenhang gerecht zu werden. Ein paar Gedanken konnte ich noch nicht formulieren, ich kann nur hoffen, daß sie in der Gesamtheit des Gesagten angedeutet sind.

"An sich ist nichts gleich oder ungleich, ähnlich oder unähnlich - das Denken macht es erst dazu. - Auch das Verschiedenste kann noch in irgendeiner Beziehung als ähnlich oder gleich, auch das Ähnlichste noch in irgendeiner Beziehung als verschieden betrachtet werden..."
Ernst Cassirer

Die Verbindungen, die wir zwischen beliebigen Elementen schaffen können, sind von unserem geschichtlichen und sozialen Umfeld geprägt. Selbst die ,willkürlichsten, Zusammenstellungen lassen, einfach Aufgrund der Tatsache, daß sie getroffen werden konnten, Rückschlüsse darauf zu.

Das Erkennen von Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten folgt den Gesetzen der Wahrnehmung. Um Zusammenhänge sichtbar oder unsichtbar zu machen, muß man den Kontext ändern, oder man kann durch Verändern des Kontextes andere oder subtilere Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten entdecken.

Die Kombination der Elemente ist ein Versuch, durch die vielschichtige Überlagerung der Wirkung von Formbeziehungen, dem Erkennen von Bekanntem und den Assoziationen die Wahrnehmung zum Schwanken zu bringen.

Die tatsächlichen Schichtungen und das Schwanken der Flächen sind ein Hinweis auf diese Absicht. (Diese Verbindung zwischen der Form und einem meiner grundsätzlichen Anliegen habe ich nicht bewußt geschaffen, es ist mir nur irgendwann aufgefallen.)

Ich habe nicht den Anspruch, daß meine Arbeiten in dieser Hinsicht perfekt funktionieren, die Möglichkeiten der Täuschung und Überlagerung sind meistens nur angedeutet, es ist also kein berechnetes Spiel mit der Wahrnehmung des Betrachters. Die Andeutung von Möglichkeiten führt manchmal eher zu ihrem Erkennen als die perfekte Ausführung.

Ich arbeite mit Materialien, zu denen ich auf irgendeine Weise einen persönlichen Bezug habe, der unter anderem damit zusammenhängt, daß sie außerhalb der Objekte, bei denen ich sie einsetze, bereits eine Bedeutung haben, wobei für die Wirkung der Arbeit nicht entscheidend ist, was das für eine Bedeutung ist, sondern was durch die Kombination dieser vorbelasteten Materialien entsteht.

Die Zusammenstellungen sind nicht dazu da, eine vollständige Reihe oder ein endgültiges Produkt zu ergeben.

Die intensive Beschäftigung mit einem kleinen Teilbereich brachte mir mehr Verständnis für das Thema als ein oberflächlicher Gesamtüberblick. Das hat etwas mit Kontrast zu tun, bei zu großen Unterschieden sieht man weder Abstufungen noch Zusammenhänge. Das Beibehalten gleicher Konstellationen (von Becken mit bewegtem Inhalt) erleichtert das Vergleichen.

 

"Wenn dieses Projekt einmal verwirklicht ist, wird es also unvermeidlich gegenüber der ursprünglichen Absicht verschoben sein, ein Effekt, den die Surrealisten zutreffend ,objektiven Zufall, genannt haben. Man kann aber noch weiter gehen: das Poetische der Bastelei kommt auch und besonders daher, daß sie sich nicht darauf beschränkt, etwas zu vollenden oder auszuführen; sie ,spricht, nicht nur mit den Dingen sondern auch mittels der Dinge: indem sie durch die Auswahl, die sie zwischen begrenzten Möglichkeiten trifft, über den Charakter und das Leben ihres Urhebers Aussagen macht. Der Bastler legt, ohne sein Projekt jemals auszufüllen, immer etwas von sich hinein."
Claude Lévi-Strauss

Literatur

Belting, Hans, Das Ende der Kunstgeschichte, München 1984

Buderer, Hans-Jürgen, Kinetische Kunst - Konzeptionen von Bewegung und Raum, Worms 1992

Eco, Umberto, Das offene Kunstwerk, (Mailand 1962) Frankfurt 1973

Heubach, Friedrich, Das bedingte Leben - Theorie der Psychologie der Gegenständlichkeit der Dinge - München 1987

Hofman, Werner, Gegenstimmen, Frankfurt am Main 1979

Leiris, Michel, Die Lust am Zusehen, Frankfurt am Main und Paris 1981

Lévi-Strauss, Claude, Das wilde Denken, (Paris 1962) Frankfurt 1968, Die Kunst als Zeichensystem, Die Zukunft der Malerei, aus Gesprächen mit Claude Levi-Strauss, Zürich 1971, Mythos und Bedeutung, Frankfurt am Main 1980

Merleau-Ponty, Maurice, Das Auge und der Geist, (Paris 1964) Hamburg 1984

Popper, Frank, Die kinetische Kunst - Licht und Bewegung - Umweltkunst und Aktion, Köln 1975

Anmerkungen

1 Merleau-Ponty, Maurice, Das Auge und der Geist, Seite 115

2 Lévi-Strauss Claude, Das wilde Denken, Seite 32

3 Hofmann, Werner, Gegenstimmen, Seite 148

4 Lévi-Strauss, Claude, Das wilde Denken, Seite 135